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Presseartikel über Graffiti Ein neuer Beruf aus der Dose

 

Der nachfolgend aufgeführte Presseartikel wurde veröffentlicht im Hamburger Abendblatt Juni 1990.

 

Ein Zeitungsbericht über Graffiti Ein neuer Beruf aus der Dose.

 

Der rechtsstehende Text wurde mittels ocr-Texterkennung eingescannt.

 

 

 

Originalartikel zur Ansicht

Graffiti: Hamburger Unternehmen endecken die Kunst der Kids für Ihre Zwecke

 

Ein neuer Beruf aus der Dose

von Jörg Forthmann

 

Hamburg - Wer sich gerne große Gemälde ins Wohnzimmer hängt, wird mit dem Leinwand-Graffiti der Faschingsfeier "LiLaBe" Schwierigkeiten bekommen. Es ist mit 95 Quadratmetern so groß wie eine Vier-Zimmer-Wohnung und gilt als das größte Graffiti der Welt. Gesprayt wurde dieses schrille Mammutwerk von einer Gruppe Hamburger Graffiti - Künstler.

 

Doch nicht nur die Veranstalter des "LiLaBe" holten sich die Sprayer ins Haus. Auch das Schmidt´s auf der Reeperbahn, renomierte Anwaltskanzleien oder Schausteller vom Dom zieren sich mit dem modernen Image.

 

 

Das Geschäft der Graffiti-Profis floriert. In Hamburg arbeiten etwa zehn Künstler professionell.

 

Der 21jährige Siko Ortner zum Beispiel. Für 12000 gestaltete er mit seinen Sprühdosen einen 125 Meter langen Bauzaun der Deutschen Genossenschafts-Hypothekenbank. Das ursprüngliche Thema " Die Entwicklung des Wohnens von der Blockhütte bis zum Wohnsilo" kann zwar nur von Graffiti-Kennern herausgelesen werden. Doch die Geschäftsführung zeigte sich zufrieden mit der Arbeit, die den Jungunternehmer fast vier Wochen beschäftigte.

 

Das Angebot reicht von Schaufensterdekorationen über das besprayen von Motorhauben bis hin zu Leinwänden, die mit der Spraydose oder einer speziellen Spraydüse, dem Air-Brush, bearbeitet werden.

 

 

Das Handwerk lernen die 16 - 21jährigen in der Illegalität. Die ersten Aufträge wurden daher auch durch die Sonderkommission 1088, die zur Strafverfolgung von Graffiti-Sprayern eingesetzt wurde, vermittelt. Doch die Geschäftsleute sahen in den Kids nur billige Arbeitskräfte. "Zu viert haben wir für eine Disco in Maschen einen Zieharmonikabus vier Wochen lang abgebeitzt und mit Graffiti versehen. Nacher gab´s nur 350 Mark für jeden", erinnert sich Siko Ortner an seine Anfangszeit. Doch die Geschäfte liefen immer besser so daßer sogar seine Schulausbildung abbrach, um "Kohle zu machen."

 

Doch die Zeiten seien nun vorbei. Nicht nur, daß der Sprayer seinen Schulabschluß nachholt, um später Kunst zu studieren.

 

 

Die zumeist wohlhabenden Kunden müssen mit wesentlich höheren Festpreisen rechnen als vor drei Jahren. So zahlen Privatkunden, die zum Beispiel den Anfangsbuchstaben eines Namens auf eine ein Quadratmeter große Leinwand gesprayt haben wollen, 450 bis 600 Mark.

 

Aufträge aus der Hamburger Wirtschaft kommen vorwiegend aus dem Kundennahen Bereich. So wurde zum Beispiel Ende März ein Modegeschäft am Winterhuder Marktplatz von einem der zehn Profis bedient. Aber auch Steuerberater, Reisebüros oder Friseure lassen sich die grellen Gemälde an der Wand viel Geld kosten.

 

Preise für die jeweiligen Objekte -sei es auf Leinwand oder direkt auf der Wand- hängen nicht nur vom Arbeitsaufwand oder den Materialkosten ab.

 

 

Der Idealismus beeinflußt die Graffiti-Preise. Ein Kunde mit sehr speziellen Vorstellungen schneidet grundsätzlich teurer ab als jemand, der ein Graffiti wie von der Straße haben will.

 

Zahlreiche Hamburger Kids -es soll rund hundert aktive amateur-Sprayer geben- versuchen inzwischen, ein Stück vom Auftragskuchen zu ergattern. Doch nur wenige Künstler werden sich etablieren können. Die Kunden verlangen zunehmend höhere Qualität. Außerdem ist das Airbrush auf Leinwand stark im kommen. Und das ist zeitaufwendig und die Ausrüstung kostet 1500 Mark. Entsprechend exclusiv werden die Auftraggeber und die Preise.

 

Text: Jörg Forthmann Foto: Schütze